Warum die Pubertät das Fundament der Welpenzeit sichtbar macht
Die Pubertät ist die Phase im Hundeleben, in der sich schlagartig zeigt, wie stabil das Fundament aus der Welpenzeit wirklich ist. Viele Menschen sind überrascht, wenn der ehemals kooperative Jungspund plötzlich Signale ignoriert, impulsiv reagiert, unsicher wird oder ohne ersichtlichen Grund wieder überdrehte oder konfliktgeladene Verhaltensweisen zeigt. Genau hier beginnen die ersten großen Aha-Momente: In der Pubertät kommen die Themen hoch, die in der Welpenzeit nicht sauber aufgebaut wurden. Dazu gehören insbesondere:
• fehlende Ruhe
• unklare Strukturen
• zu wenig Orientierung am Menschen
• zu viel Freilauf ohne Führung
• ein hoher Außenfokus
• zu geringe Grenzen oder inkonsistente Regeln
All das bleibt im Nervensystem gespeichert und fällt im jungen Alter kaum auf. Doch in der Pubertät zeigt sich alles ungeschminkt. Deshalb ist es wichtig, diese Zeit nicht einfach „auszusitzen“, sondern sie als Entwicklungsfenster zu begreifen – ein Zeitfenster, das Haltung, Klarheit und Struktur erfordert und dir ermöglicht, bewusst nachzusteuern.
Neurobiologie: Warum dein Hund gerade anders reagiert
Um zu verstehen, warum dein Hund plötzlich so anders wirkt, lohnt sich ein Blick ins Hundehirn. Viele Verhaltensweisen sind keine „Absicht“ oder Provokation, sondern neurobiologisch erklärbar. Die Pubertät ist eine massive Umbauphase: Strukturen werden neu vernetzt, bewertet, sortiert und gleichzeitig emotional überflutet. Die wichtigsten Bereiche sind dabei:
• der präfrontale Cortex – Zentrum für Impulskontrolle, Entscheidungen und Orientierung
• das limbische System – emotionale Schaltzentrale, zuständig für Angst, Unsicherheit, Überforderung
• das dopamingetriebene Belohnungssystem – verstärkt die Suche nach intensiven Reizen
Was das konkret bedeutet
Der präfrontale Cortex ist weniger zuverlässig nutzbar. Das führt zu:
• impulsiveren Reaktionen
• schlechterer Abrufbarkeit bekannter Signale
• intensiverer Wahrnehmung von Reizen
• stärkerer Emotionalität
Das limbische System reagiert empfindlicher – kleine Reize reichen, um den Hund zu überfluten. Gleichzeitig nimmt die Fähigkeit zur Selbstberuhigung ab. Die Reizfilter stehen weit offen, das Stresssystem springt schneller an und die Regulation dauert länger. Das Belohnungssystem verstärkt die Suche nach schnellen Eindrücken: schnelle Bewegungen, Geräusche, Gerüche, Kontakte. Je aufregender, desto interessanter.
Warum Selbstkontrolle jetzt kaum möglich ist
• Die neurologische „Bremse“ arbeitet unzuverlässig.
• Emotionen schießen schneller durch das System.
• Der Hund kann Situationen schlechter einschätzen.
• Viele Verhaltensweisen entstehen reflexartig, nicht bewusst.
• In Stressmomenten hat das Gehirn keinen Zugriff auf gelerntes Verhalten.
Für viele Menschen ist es ein Augenöffner, wenn sie verstehen, dass ihr Hund gerade nicht „gegen sie arbeitet“, sondern schlicht in einem Entwicklungsprozess steckt.
Die Spooky-Phase: Wenn das Weltbild kurz wackelt
Zwischen dem 7. und 14. Monat (manchmal früher, manchmal später) kommt die sogenannte Spooky-Phase. Sie zeigt sich in:
• plötzlich auftretenden Unsicherheiten
• scheinbar grundlosen Schreckmomenten
• Fokussierung auf Schatten, Gegenstände oder Bewegungen
• Misstrauen gegenüber ungewöhnlichen Personen
• verstärkter Sensibilität auf Geräusche oder kleine Veränderungen
Neurologisch betrachtet sortiert der Hund seine Umwelt neu. Dinge, die er vorher automatisch als neutral abgespeichert hatte, werden erneut bewertet. Eine Art Sicherheitsupdate – nur ziemlich unkoordiniert.
Warum die Spooky-Phase so wertvoll ist
• Sie zeigt, wie sicher der Hund ist.
• Sie zeigt, wie stark er sich am Menschen orientiert.
• Sie zeigt, wie gut Ruhe und Struktur sitzen.
• Sie zeigt, wo noch Baustellen liegen.
Ein Hund, der gelernt hat, dass der Mensch Entscheidungen übernimmt, kommt besser durch diese Phase.
Was die Pubertät über die Welpenzeit verrät
Bereiche, die in der Welpenzeit gefehlt haben und jetzt sichtbar werden:
• fehlende Grenzen und Orientierung
• zu viel Handlungsspielraum
• mangelnde Ruhezeiten
• übermäßige Reizangebote
• unklare Strukturen
• fehlendes Erwartungsmanagement
• zu frühe Freiheiten
• fehlendes Management in sozialen Situationen
Diese Erkenntnis ist kein Vorwurf. Sie ist ein Hinweis – und gleichzeitig eine enorme Chance, jetzt nachzuarbeiten.
Warum dein Hund jetzt Halt im Außen sucht – und du das Außen bist
Ein pubertierender Hund kann sich selbst nur begrenzt regulieren. Deshalb sucht er unbewusst nach Halt im Außen – und dieser Halt bist du. Im Trainingsalltag sieht man deutlich:
• Sobald der Mensch innerlich klar ist, orientiert sich der Hund.
• Eine ruhige, konsequente Haltung reguliert das Nervensystem schneller als Worte.
• Grenzen schaffen Sicherheit.
• Wiederholbare Abläufe entlasten das Gehirn.
• Emotionale Ruhe wirkt stabilisierend.
• Weniger Worte, mehr Körpersprache.
Warum Haltung jetzt wichtiger ist als Technik
Der Hund folgt nicht dem Kommando – er folgt der Klarheit.
Der Hund folgt nicht der Stimme – er folgt der Entscheidung.
Der Hund folgt nicht der Theorie – er folgt deiner Körpersprache.
Praxisbeispiele: Sofort spürbare Veränderungen
• Ein überdrehter Hund fährt herunter, wenn der Mensch sein Tempo senkt.
• Ein unsicherer Hund orientiert sich, wenn der Mensch weitergeht.
• Ein Hund im Außenfokus wird ansprechbar, wenn der Mensch entscheidet.
• Ein impulsiver Hund bleibt ruhiger, wenn der Mensch Raum führt.
Diese Situationen zeigen, wie schnell Verhalten kippt, wenn der Mensch innere Führung übernimmt.
Die sieben Leitlinien für Stabilität in der Pubertät
• Klare Entscheidungen
• Strukturierte Abläufe
• Grenzen
• Emotionale Ruhe
• Strategisches Management
• Reduzierter Außenfokus
• Aufbau echter Impulskontrolle
Fazit: Pubertät ist ein Entwicklungsgeschenk
Die Pubertät ist die Phase, in der Teams zusammenwachsen – wenn der Mensch Verantwortung übernimmt. Mit Klarheit, Struktur und ruhiger Haltung entsteht ein Erwachsener Hund, der stabil, belastbar und sicher durchs Leben geht. Pubertät ist kein Chaos. Sie ist ein wertvoller Entwicklungsschritt, in dem du deinem Hund Orientierung gibst und das Fundament für seine Zukunft legst.
